So ein Pech!
Unsinn! Ohne den Misserfolg läuft fast nichts in der Forschung
Es war einmal ein König von Serendip, der hatte drei Söhne. Er schenkte ihnen weder Gold noch Macht, sondern Gaben besonderer Art: Sie sahen, was andere übersahen, hörten, was andere nicht vernahmen, und rochen in jedem Duft eine Geschichte. Eines Tages trafen sie einen Hirten, der sein Kamel verloren hatte. „Habt ihr es gesehen?“, fragte er. „Nein“, sprachen die Prinzen. „Doch wir kennen es: Es hinkt, ist auf einem Auge blind und ihm fehlt ein Zahn.“ Da schrie der Hirte: „Diebe! Wer so spricht, muss es gestohlen haben!“ Erst als die Prinzen erklärten, wie sie das Kamel einzig aus seinen Fußspuren, dem nur einseitig abgegrasten Wegesrand und den Bisspuren an den Blättern beschreiben konnten, wich sein Zorn, und er staunte über ihre Gabe.
Andere Geschichte: Was wäre, wenn Charles Goodyear 1839 nicht ein Batzen Kautschuk mit Schwefel auf die Ofenplatte gefallen wäre? Oder wenn Alexander Fleming 1928 die verschimmelte Petrischale weggeworfen hätte? Oder wenn Percy Spencer 1945 nicht zufällig einen Schokoriegel in der Hosentasche gehabt hätte, als er sich einem Magnetron näherte? Dann hätten andere Gummi, Penicillin und Mikrowellengerät erfinden müssen. Die Geschichte ist voll solcher Anekdoten.
Womit wir beim Thema wären: Glück als Schlüssel für den wissenschaftlichen Erfolg. Obwohl, nein, Glück, also der positiv konnotierte Teil des Zufalls, ist hier der falsche Begriff. Denn die Prinzen aus Serendip hatten mit ihrer Beschreibung ja nicht zufällig recht, sondern kamen durch genaue Beobachtung, logisches Denken und allgegenwärtige Neugier zum richtigen Schluss.
Nachdem der englische Autor Horace Walpole (1717 –1797) jenes „törichte, kleine Märchen“ von den drei Prinzen aus Serendip (dem heutigen Sri Lanka) gelesen hatte, schuf er den Begriff serendipity, im Deutschen: Serendipität. Er bedeutet, dass unerwartete Wendungen nur dann zum Erfolg werden können, wenn es auch jemanden gibt, der die Gelegenheit aufmerksam und scharfsinnig beim Schopfe packt. Oder, um es mit den Worten von Louis Pasteur (1822 – 1895) zu sagen: „Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist.“
Beides ist auf dem Weg zum Erfolg kaum zu unterschätzen, das zeigen Studien. So untersuchte ein Team um Ohid Yaqub von der University of Sussex kürzlich mehr als 1,2 Millionen Publikationen aus der Biomedizin und verglich die Forschungsergebnisse mit den Erwartungen in den Förderanträgen. Fast 60 Prozent aller Publikationen enthielten demnach Ergebnisse, die die Forschenden vor dem Projekt gar nicht auf dem Schirm hatten.
Mehr als die Hälfte aller Entdeckungen sind also mehr oder weniger zufälliger Natur? Ja, und zwar auch, weil Serendipität in der Struktur wissenschaftlicher Arbeit angelegt ist. So fällt Unerwartetes dank sorgfältiger Kontrollbedingungen rasch auf und wird im Rahmen der Fehlersuche nicht als Fehlschlag verbucht, sondern weiter ergründet. Oft ist der vermeintlich unglückliche Zufall dann eben ein glücklicher. Oder, wie der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov (1920 –1992), der auch Biochemiker war, einmal gesagt haben soll: Die häufigste Reaktion auf eine Entdeckung sei nicht „Heureka“, sondern: „Ach, das ist ja lustig.“ — J. Schüring