Treffen sich Welten Abtauchen fürs Klima
Ein Gespräch mit der Tiefseeforscherin Antje Boetius und dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert über Abenteurergeist, das Jobprofil für chinesische Regierungssprecher und eine gemeinsame Tauchfahrt
Frau Boetius, als Meeresforscherin sind Sie auf allen Weltmeeren unterwegs. Neben vielem anderen haben Sie auch methanfressende Mikroorganismen in der Tiefsee des Arktischen Ozeans untersucht. Können die uns im Kampf gegen den Klimawandel helfen?
Boetius: Die methanfressenden Mikroorganismen in den Meeren helfen uns permanent. Sie sind entscheidend dafür, dass unsere Erde für uns überhaupt bewohnbar ist. Sie fressen das Treibhausgas Methan, das bei Fäulnisprozessen im Meeresboden entsteht, gleich wieder auf. So gelangt es gar nicht erst in die Atmosphäre. Es bleibt in einem natürlichen Kreislauf. Die Erwärmung der Meere kann diese Balance aber außer Kraft setzen. Das war und ist ein großer Teil meiner Forschung: Wie sind wir Menschen mit der Natur vernetzt, wie funktionieren diese Mikroorganismen, die seit Hunderten Millionen Jahren diese fantastische Leistung für ein gutes Klima erbringen.
Sie tauchen mit U-Booten in die Tiefe hinab. Wie viel Abenteurergeist steckt in Ihrer Wissenschaft?
Boetius: Die Grundvoraussetzung ist Neugierde. Damit war ich als Kind schon reich gesegnet. Ich hatte diese Idee von unserem Planeten Erde als einem unerschöpflichen Ort des Unbekannten. Und das ist auch richtig so: Wir haben noch nicht einmal 0,1 Prozent von der Tiefsee örtlich gesehen oder vermessen. Man kann immer noch riesige Berge im Meer entdecken und unglaublich viel fremdes Leben aufspüren.
Herr Lammert, würden Sie mit Frau Boetius ins U-Boot steigen?
Lammert: Sofort, ja.
Keine Angst?
Lammert: Nein. In der sicheren Annahme, Frau Boetius ginge ja auch nicht rein, wenn sie nicht davon überzeugt wäre, dass wir wieder hochkommen.
(Boetius lacht)
Herr Lammert, waren Sie in den Naturwissenschaften begabt?
Lammert: Nein, überhaupt nicht. Aber ich hatte einen sehr begabten besten Schulfreund, der mir auch glücklicherweise bis heute erhalten geblieben ist, und wir hatten eine perfekte Arbeitsteilung. Er war für alle Naturwissenschaften und ich für alle Sprach- und Geisteswissenschaften zuständig. Und gemeinsam waren wir unschlagbar.
Sie wurden als ältestes von sieben Kindern in eine Bäckerfamilie in Bochum geboren. Warum wurde es die Politik und nicht das Backhandwerk?
Lammert: Na ja, weil mir für das Letztere offenkundig jegliche Begabung fehlte, was mein Vater auch schnell begriffen hatte und deswegen nach meiner Erinnerung nie auch nur einen ernsthaften Versuch unternommen hat, mir seinen Betrieb anzuvertrauen.
Sind Sie beide in Ihren Traumberufen gelandet?
Boetius: Ja, bei mir war es ziemlich früh die Meeresforschung, auch wenn ich lange keinen genauen Begriff davon hatte, was es bedeutet, Forscherin zu sein. Ich habe in der Familie Seefahrer, mein Opa war Kapitän, also hatte ich mich auch auf Schiffen verortet. Entdeckung und Expeditionen wollte ich dann zu meinem Beruf machen.
Lammert: Jedenfalls kann ich mir keinen anderen Beruf vorstellen, der für meine Interessen und vielleicht auch Begabungen besser geeignet gewesen wäre. Aber dass ich immer schon Politiker oder Bundestagspräsident hätte werden wollen, ist ja eine geradezu groteske Vorstellung.
Im Pariser Klimaabkommen von 2015 wurden Regeln für den weltweiten Klimaschutz vereinbart. Wie weit sind wir bei der Umsetzung?
Lammert: Ganz offenkundig nicht weit genug. Und wir sehen im Übrigen ja auch in der Zwischenzeit leider mehr Absatzbewegungen von getroffenen Vereinbarungen als einen Ehrgeiz zur Einhaltung oder gar schnelleren Erledigung von Verpflichtungen. Was aber einmal mehr deutlich macht, dass Politik im Unterschied zur Wissenschaft nichts mit Wahrheitsfindung zu tun hat, sondern mit Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung von Interessen. Und das ist, ob leider oder Gott sei Dank, jedenfalls ein ganz anderer Prozess, der einer anderen Logik folgt.
Boetius: Mir kommt es manchmal so vor, dass es sich dabei um eine Logik der Unlogik handelt. Was wir „Interessen“ nennen, das muss man definieren. Absehbare Risiken mit in politische Entscheidungsprozesse zu nehmen und langfristige Horizonte zu berücksichtigen, kann genauso Politik und Interessenvertretung sein. Für mich besteht die höchste Kunst der Politik nun darin, die Pflege der Natur aus fundamentalen Interessen der Gesellschaft umzusetzen.
Darf Klimapolitik eigentlich noch parteipolitisch besetzt sein, oder müsste sie nicht über allem stehen?
Lammert: Also tendenziell würde ich das für eine gut gemeinte Form von Fundamentalismus halten, dass man ein Thema, welches einem selber besonders wichtig ist, gewissermaßen vor die Klammer aller übrigen Fragen nimmt und sagt: Aber das darf nicht nach den gleichen Mechanismen behandelt werden wie alle übrigen Themen. Wieso eigentlich? Was ist mit dem Thema Friedenssicherung? Würden Sie da sagen, na ja, das kann man schon dem Streit unterschiedlicher Interessen zur Verfügung stellen, Klimawandel aber nicht?
Boetius: Da bin ich ganz bei Ihnen, dass uns das nicht weiterhilft, nur eine Krise vor die Klammer zu ziehen. Beim Klimaschutz geht es darum, in ein anderes Energiesystem überzutreten. Und dafür sind jede Menge Lösungen da. Deshalb ist es so schwer zu verstehen, warum dieser so offensichtliche Zukunftspfad nicht gegangen wird. Und da geht es letztlich um Werte des Lebens, wo sich mir die Frage stellt: Warum finde ich diese Werte nicht ausgeprägter in einer Partei wie der Ihren, Herr Lammert, die sich auf christlich-soziale Werte bezieht? Was einen Naturbegriff einschließt, ihn aber nicht ausfüllt.
Lammert: Ja, aber Politik hat mindestens so sehr mit Sachverhalten wie mit Menschen zu tun und mit deren Prioritäten in der Behandlung von Sachverhalten. Und um das jetzt noch mal auf die Systemfrage zu projizieren: Wir steigen nun nach einem zugegebenermaßen langwierigen, komplizierten, zähen, demokratischen Prozess nicht nur aus der Kohleförderung, sondern auch aus der Kohleverbrennung aus. Und das, was wir dann an Kohlekraftwerken in Deutschland stilllegen, steht statistisch in einem beinahe lächerlichen Verhältnis zu dem Zubau von Kohlekraftwerken in einem autoritär geführten Land wie China, das ohne Rücksicht auf Mehrheiten eigentlich eine klimarelevante Politik betreiben könnte, aber eben nicht betreibt.
Boetius: Dabei muss ich aber sagen, dass für mich Hoffnung kam, als wir mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina die Chinesische Akademie der Wissenschaften besucht haben. Wir haben dort über Menschenrechte und über offene Wissenschaft gesprochen und erlebt, wie die leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich mit einer Klarheit auf den Klimawandel und das Problem der Kohlekraftwerke und der Luftverschmutzung in China bezogen haben, an der es uns oft mangelt. Und Europas Verhandlungsposition gegenüber China hat nicht nur mit deren CO2-Emissionsanteil von heute zu tun, sondern mit unserer gesamten Geschichte. Da trägt Europa für den heutigen Klimawandel Verantwortung, wohingegen China vor allem für die Zukunft mitverantwortlich ist.
Herr Lammert, die Unionsparteien haben in der Bundesrepublik am häufigsten die Kanzlerin oder den Kanzler gestellt. Wurde da in Sachen Klimaschutz zu zögerlich agiert?
Lammert: Na ja, also mir fallen da solche und solche Aspekte ein. Es sind auch unionsgeführte Bundesregierungen gewesen, die überhaupt als erste Umweltministerien gegründet haben. Ich finde es unter vielerlei Gesichtspunkten ärgerlich, dass meine Partei das Profil, das sie zu einem früheren Zeitpunkt in der Umweltpolitik gewonnen hatte, dann aus mancherlei Gründen vernachlässigt und prompt verloren hat. Aber dass die einen dieses Thema wahrgenommen und die anderen notorisch vernachlässigt hätten, davon kann sicher keine Rede sein.
Boetius: Nein, auf keinen Fall. Vor allen Dingen, wenn man sich überlegt, wie man in 50 Jahren über die zurückliegenden CDU-Regierungsjahre denkt, dann wird man wahrscheinlich aufzählen müssen, dass diese Regierung aus Atomkraft, aus Kohle, aus Erdöl und Erdgas ausgestiegen ist. Deswegen kann es sein, aus der langfristigen Perspektive, dass das sehr gut ausgehen wird für die CDU.
Lammert: Ich hatte vorhin schon fast den Eindruck, Sie wollten sich als Regierungssprecherin in China bewerben. Jetzt nehme ich das als Doppelbewerbung für den Parteisprecher der Union und in China.
(Boetius lacht)
Boetius: Das ist der Vorteil, wenn man unabhängig ist, dass man mit jeder Partei über ihre Pros und Cons offen sprechen kann.
(beide lachen)
Ihr Fazit: Das Klima retten wir …
Boetius: … nur, wenn wir Regeln setzen, die der Verschmutzung und der Übernutzung der Atmosphäre Einhalt gebieten. Und zwar sofort. Denn wir haben weniger als 15 Jahre Zeit, die Infrastrukturen so auf die Bahn zu bringen, dass es nicht zu ganz verheerendem Leid auf der Erde kommt. Und das war jetzt nüchtern formuliert.
Lammert: Ich versuch‘s ähnlich nüchtern: Wir retten das Klima nur in einer intelligenten gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik und Wissenschaft.
Und was bleibt Ihnen vom heutigen Gespräch in Erinnerung?
Lammert: Na ja, die Aussicht auf das gemeinsame Tiefseeunternehmen und der damit verbundenen Einbildung, es sei zugleich ein Beitrag zur Klimarettung.
Boetius: Dass Treffen fremder Welten spannend sind, auch wenn es doch um denselben Planeten geht und wir nur einen haben. Und tiefer Respekt vor meinem tauchlustigen Gesprächspartner für seine Leistungen für unsere Demokratie.
Die Fragen stellte Richard Fuchs. Im Rahmen des Podcasts „Treffen sich Welten“ lädt die Klaus Tschira Stiftung regelmäßig bekannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Gespräch mit Prominenten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport.
Die Langversion des Interviews finden Sie überall, wo es Podcasts gibt, und auf: www.treffensichwelten.de