Fischscharm
©Sven Gust

Geowissenschaften Mit Fischschwärmen ist zu rechnen

Sie waren noch nie so weit im Norden, doch nun ziehen ­sogar Makrelen und Thunfische durch die Gewässer um Grönland. Infolge des Klimawandels verändern sich die Lebensräume vieler Arten. „Biologische Vorhersagen“ könnten Politik und Fischerei auf solche Veränderungen vorbereiten

von Dr. Anna Katharina Miesner

Nur: Was sind biologische Vorhersagen? Menschen, die alljährlich von Heu­schnupfen geplagt sind, kennen sie: die Vorher­sagen zum Pollen­flug. Der Clou dieser Vorhersagen ist, dass sie sich nicht auf Pollen­zählungen stützen, sondern statt­dessen auf Wetter­informationen. Obwohl es auch für einige Meeres­­organismen operationelle Vorher­sagen wie für den Pollen­flug gibt, steckt die Entwicklung von biologischen Vorhersagen noch in ihren Kinder­schuhen. Dabei haben sie ein großes Potenzial.

Weil Wasser die Wärme viel länger speichern kann als Luft, sind Vorhersagen der Meeres­temperatur über einen viel längeren Zeitraum möglich. Unter anderem dank dieser hohen Wärme­kapazität ist es in einigen Gebieten möglich, Veränderungen des Meeres­klimas – also der Temperatur und auch des Salz­gehaltes – einige Jahre im Voraus zu bestimmen. Der Nord­atlantik ist so ein Gebiet – das haben Forscher:innen der Universität Hamburg anhand von Klima­modellen gezeigt. Dies birgt in dieser Region ein großes Potenzial für biologische Vorhersagen.

Im Rahmen unserer Arbeit wollten wir Veränderungen der räumlichen Verbreitung von Meeres­organismen besser verstehen, modellieren und schließlich vorhersagen. Dafür wählten wir eine Fischart, die im Nord­atlantik weit verbreitet ist und von der es Beobachtungen aus einem halben Jahr­hundert gibt: den Blauen Wittling. Er ist wenig bekannt, da er kein typischer Speise­fisch ist. Meist wird er weiter­verarbeitet zu Fisch­stäbchen, Fisch­futter oder Omega-3-Öl. Sein Zuhause ist der Nord­ost­atlantik, wo man ihn nördlich der Kanarischen Inseln über die Azoren bis nach Grönland und Spitz­bergen antrifft.

Anna Katharina Miesner liebt das Meer. In ihrer Doktorarbeit entwickelte sie Methoden, um die Verbreitung eines im Nordatlantik beheimateten Fisches vorherzusagen
©Annette Mueck
Anna Katharina Miesner liebt das Meer. In ihrer Doktorarbeit entwickelte sie Methoden, um die Verbreitung eines im Nordatlantik beheimateten Fisches vorherzusagen

Im Frühling treffen sich die zur Familie der Dorsche gehörenden Blauen Wittlinge zur Paarung in einem Gebiet westlich von Irland. Auf diesen Zeit­punkt warten viele Wissen­schaftler:innen, da sie dann die Zahl der bis zu 50 Zenti­meter langen Fische im Nord­ost­atlantik schätzen können. Diese Information ist essenziell, um Fischer:innen kompetent zu beraten und nach­haltige Fang­quoten zu ermitteln.

Problematisch ist jedoch, dass die Größe des Laichgebietes des Blauen Wittlings stark variiert. In manchen Jahren umfasst es einen schmalen Streifen entlang des europäischen Kontinental­schelfs westlich von Irland. In anderen Jahren ist es um ein Viel­faches größer; dann erstreckt sich das Laichgebiet vom Kontinental­schelf bis zum 500 Kilometer weiter westlich gelegenen Rockall-Plateau nordwestlich von Irland – einem Unter­wasser­gebirge, dessen Gipfel aus dem Wasser ragen. Vorhersagen über die Lage und Größe des Laich­gebietes wären daher sehr nützlich. Derartige biologische Vorhersagen könnten dazu beitragen, die Größe der Population korrekt abzu­bilden, und helfen, die Fischart nach­haltig zu bewirtschaften.

Seit Jahren vermuten Wissenschaftler:innen, dass Veränderungen des Meeres­klimas das Laich­gebiet des Blauen Wittlings beeinflussen. Aufgrund der spärlichen Daten­lage konnte diese Vermutung jedoch bisher nicht überprüft werden. Wir konnten erstmals einen direkten und messbaren Zusammenhang zwischen Meeres­klima und räumlicher Verbreitung des Laich­gebietes des Blauen Wittlings herstellen.

Durch die Kombination von Beobachtungen der Larven des Blauen Wittlings und Beobachtungen des Meeres­klimas gelang es uns, statistische Modelle der Arten­verteilung zu erstellen. Diese Modelle, die ich zusammen mit Mark Payne am National Institute of Aquatic Resources an der Technical University of Denmark entwickelte, zeigen eine Ausdehnung des Laich­gebietes über das Rockall-Plateau hinaus bei warmen und salz­haltigen Bedingungen. Bei kälteren und weniger salzigen Bedingungen zieht sich das Laich­gebiet hingegen entlang des Kontinental­schelfs zurück, was frühere Untersuchungen bestätigt. Zudem fanden wir heraus, dass der Blaue Wittling seine Eier bevorzugt in Bereichen mit einem bestimmten Salzgehalt ablegt. Somit beschreibt unsere Arbeit nicht nur die Beziehung zwischen dem Blauen Wittling und seiner Umwelt, sondern macht sie auch messbar. Diese Quantifizierung der Beziehung zwischen dem Blauen Wittling und dem Meeres­klima nutzten wir als Grundlage für biologische Vorhersagen.

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Um biologische Vorhersagen zu erstellen, benötigt man zudem zuverlässige Vorhersagen des Meeres­klimas auf der Basis dynamischer Erd­system­modelle. Das sind komplexe Modelle, die Wechsel­wirkungen zwischen Atmosphäre, Land, Ozean und Meereis simulieren und so das Klima­system repräsentieren. Mithilfe des Erd­system­modells des Max-Planck- Instituts für Meteorologie und zusammen mit Forscher:innen vom Helmholtz-Zentrum Hereon und der Universität Hamburg untersuchten wir die Vorher­sagbarkeit des Meeres­klimas im Laichgebiet des Blauen Wittlings.

Da Vorhersagen für die Zukunft natürlich nicht über­prüfbar sind, wird ihre Qualität in der Klima­forschung rück­blickend bestimmt. Um herauszufinden, ob das Erd­system­modell in der Lage ist, das Meeres­klima zuverlässig vorher­zusagen, haben wir also Vorhersagen für einen Zeitraum in der Vergangenheit gemacht und sie dann mit verschiedenen Beobachtungs­daten­sätzen verglichen. Dabei fanden wir heraus, dass zuverlässige Vorhersagen der Tempe­ratur und vor allem des Salzgehaltes im Laichgebiet des Blauen Wittlings bis zu einem Jahr im Voraus möglich sind.

Somit kennen wir beide Voraussetzungen für eine Vorhersage des potenziellen Laich­gebietes des Blauen Wittlings: Wir wissen erstens, wie das Meeres­klima die Verbreitung des Laich­gebietes beeinflusst – und dass zur Eiablage ein bestimmter Salz­gehalt optimal ist. Zweitens können wir den Salzgehalt zuverlässig prognostizieren. Im nächsten Schritt verwendeten wir das Erd­system­modell, um das potenzielle Laichgebiet des Blauen Wittlings vorher­zusagen. Zunächst machten wir rückblickende Vorhersagen für den Salzgehalt im Nordostatlantik zur Paarungs­zeit des Blauen Wittlings. Unsere zuvor gewonnene Erkenntnis, dass der Blaue Wittling seine Eier in einem bestimmten Salzgehaltbereich legt, ermöglichte es uns nun, jene Gebiete zu lokalisieren, die als mögliches Laich­gebiet dienen. So konnten wir physikalische Vorhersagen des Meeres­klimas in biologische Vorher­sagen übersetzen. Diese rück­blickenden Vorhersagen des potenziellen Laich­gebietes verglichen wir mit bereits existierenden Daten über den Blauen Wittling. Dabei zeigten ein- jährige Vorhersagen eine gute Über­einstimmung – insbesondere in der Region des Rockall-Plateaus.

Aus der Kombination physikalischer und biologischer Vorhersagen lassen sich relevante Informationen für Manager:innen, Politiker:innen und Stakeholder:innen ableiten. Sie haben ein großes Potenzial – gerade in Gebieten, in denen klimatische Veränderungen besonders stark sind oder die Bevölkerung abhängig von marinen Ressourcen ist. So kann deren Bewirtschaftung dynamischer, nachhaltiger und klima­­resilienter werden.

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Groß und ­unsichtbar

Immer wieder kreuzen Wale die Routen großer Schiffe. Dank biologischer Vorhersagen lassen sich fatale Kollisionen verhindern

Mehr als 90.000 Schiffe durchqueren jeden Tag die Weltmeere. Diese Zahl steigt weiter – und damit auch die Gefahr für die größten Meeres­bewohner. Jedes Jahr, so schätzen Expert:innen, werden rund 20.000 Wale Opfer von Zusammen­stößen mit großen Schiffen. Weil die Kollisionen oft unbemerkt geschehen und die Kadaver rasch versinken, dürfte die Dunkelziffer viel höher liegen.

Ein Drama, wenn man bedenkt, wie bedroht viele der Walarten sind. Von dem knapp 20 Meter großen Nordkaper etwa gibt es noch 100, vielleicht 200 Tiere. Aufgrund des Klimawandels wandern sie immer weiter nordwärts, direkt in die Haupt­schiff­fahrts­routen Nordamerikas. Allein zwischen April 2017 und Januar 2018 kamen dort 18 Tiere zu Tode.

Mithilfe biologischer Vorhersagen könnten viele Wale gerettet werden. Wie das funktionieren kann, zeigt ein Team um Helen Bailey vom University of Maryland Center for Environmental Science. Bei WhaleWatch geht es um den Schutz von Blauwalen vor der West­küste der USA. Die Forscher:innen hatten Satelliten­daten aus der Zeit von 1993 bis 2009 ausgewertet und diese mit den Zugrouten von markierten Walen kombiniert. „Danach wussten wir nicht nur, wohin die Wale ziehen, sondern auch warum.“ Denn die Satelliten­daten enthalten nicht nur Wasser­tiefen und -temperaturen, sondern auch Parameter zum Nahrungs­angebot.

Ähnlich wie bei Wettervorher­sagen lassen sich auf der Basis dieser Daten nun tages­aktuelle Karten mit den wahrscheinlichen Aufenthalts­orten von Blauwalen bereit­stellen. Auf deren Grundlage können Behörden Umleitungen oder Geschwindig­keits­­begrenzungen anordnen – zwei hochwirksame Methoden, die nun auf weitere Arten ausgeweitet werden.

Eine Studie der Meeresschutz­organisation Oceana dämpft allerdings den Optimismus. Vor der ebenfalls viel­befahrenen Ostküste der USA wird das Tempo­limit von 10 Knoten zum Schutz der Wale demnach von fast 90 Prozent aller Schiffe ignoriert. Es müsste viel konsequenter kontrolliert und bestraft werden. — J. Schüring

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