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Treffen sich Welten Abtauchen fürs Klima

Ein Gespräch mit der Tiefseeforscherin Antje Boetius und dem ehemaligen Bundes­tags­präsidenten Norbert Lammert über Abenteurer­geist, das Jobprofil für chinesische Regierungs­sprecher und eine gemeinsame Tauchfahrt

Frau Boetius, als Meeresforscherin sind Sie auf allen Welt­meeren unterwegs. Neben vielem anderen haben Sie auch methan­fressende Mikro­organismen in der Tiefsee des ­Arktischen Ozeans untersucht. Können die uns im Kampf gegen den Klima­wandel helfen?
Boetius: Die methanfressenden Mikro­organismen in den ­Meeren helfen uns permanent. Sie sind entscheidend dafür, dass unsere Erde für uns über­haupt bewohnbar ist. Sie fressen das Treib­haus­gas Methan, das bei Fäulnis­prozessen im Meeres­­boden entsteht, gleich wieder auf. So gelangt es gar nicht erst in die Atmosphäre. Es bleibt in einem natürlichen Kreis­lauf. Die Erwärmung der Meere kann diese Balance aber außer Kraft setzen. Das war und ist ein großer Teil meiner Forschung: Wie sind wir Menschen mit der Natur vernetzt, wie funktionieren diese Mikro­organismen, die seit Hunderten Millionen Jahren diese fantastische Leistung für ein gutes Klima erbringen.

Sie tauchen mit U-Booten in die Tiefe hinab. Wie viel Abenteurer­geist steckt in Ihrer Wissenschaft?
Boetius: Die Grund­voraus­setzung ist Neugierde. Damit war ich als Kind schon reich gesegnet. Ich hatte diese Idee von unserem Planeten Erde als einem unerschöpflichen Ort des Unbekannten. Und das ist auch richtig so: Wir haben noch nicht einmal 0,1 Prozent von der Tiefsee örtlich gesehen oder vermessen. Man kann immer noch riesige Berge im Meer entdecken und unglaublich viel fremdes Leben aufspüren.

Antje Boetius, Meeres- und Polarforscherin
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Antje Boetius ist Meeres- und Polarforscherin. Die Professorin für Geomikrobiologie an der Universität Bremen leitet seit 2017 das Alfred-Wegener-Institut in Bremer­haven. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Tiefsee

Herr Lammert, würden Sie mit Frau Boetius ins U-Boot steigen?
Lammert: Sofort, ja.

Keine Angst?
Lammert: Nein. In der sicheren Annahme, Frau Boetius ginge ja auch nicht rein, wenn sie nicht davon überzeugt wäre, dass wir wieder hochkommen.
(Boetius lacht)

Herr Lammert, waren Sie in den Natur­wissenschaften begabt?
Lammert: Nein, überhaupt nicht. Aber ich hatte einen sehr begabten besten Schul­freund, der mir auch glücklicher­weise bis heute erhalten geblieben ist, und wir hatten eine perfekte Arbeits­teilung. Er war für alle Natur­wissenschaften und ich für alle Sprach- und Geistes­wissenschaften zuständig. Und gemeinsam waren wir unschlagbar.

Sie wurden als ältestes von sieben Kindern in eine Bäcker­­familie in Bochum geboren. Warum wurde es die Politik und nicht das Back­hand­werk?
Lammert: Na ja, weil mir für das Letztere offen­kundig jegliche Begabung fehlte, was mein Vater auch schnell begriffen hatte und deswegen nach meiner Erinnerung nie auch nur einen ernsthaften Versuch unter­nommen hat, mir seinen Betrieb an­zu­vertrauen.

Sind Sie beide in Ihren Traum­berufen gelandet?
Boetius: Ja, bei mir war es ziemlich früh die Meeres­forschung, auch wenn ich lange keinen genauen Begriff davon hatte, was es bedeutet, Forscherin zu sein. Ich habe in der Familie Seefahrer, mein Opa war Kapitän, also hatte ich mich auch auf Schiffen verortet. Entdeckung und Expeditionen wollte ich dann zu meinem Beruf machen.
Lammert: Jedenfalls kann ich mir keinen anderen Beruf vorstellen, der für meine Interessen und vielleicht auch Begabungen besser geeignet gewesen wäre. Aber dass ich immer schon Politiker oder Bundes­tags­präsident hätte werden wollen, ist ja eine geradezu groteske Vorstellung.

Im Pariser Klimaabkommen von 2015 wurden Regeln für den welt­weiten Klima­schutz vereinbart. Wie weit sind wir bei der Umsetzung?
Lammert: Ganz offenkundig nicht weit genug. Und wir sehen im Übrigen ja auch in der Zwischen­zeit leider mehr Absatz­bewegungen von getroffenen Vereinbarungen als einen Ehrgeiz zur Einhaltung oder gar schnelleren Erledigung von Verpflichtungen. Was aber einmal mehr deutlich macht, dass Politik im Unterschied zur Wissenschaft nichts mit Wahrheits­findung zu tun hat, sondern mit Entscheidungs­findung unter Berücksichtigung von Interessen. Und das ist, ob leider oder Gott sei Dank, jedenfalls ein ganz anderer Prozess, der einer anderen Logik folgt.
Boetius: Mir kommt es manchmal so vor, dass es sich dabei um eine Logik der Unlogik handelt. Was wir „Interessen“ nennen, das muss man definieren. Absehbare Risiken mit in politische Entscheidungs­prozesse zu nehmen und lang­fristige Horizonte zu berücksichtigen, kann genauso Politik und Interessen­­vertretung sein. Für mich besteht die höchste Kunst der Politik nun darin, die Pflege der Natur aus fundamentalen Interessen der Gesellschaft umzusetzen.

Norbert Lammert, ehemaliger Bundestagspräsident
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Norbert Lammert ist seit Januar 2018 ­Vorsitzender der Konrad-Adenauer-­Stiftung. Zuvor war er zwölf Jahre ­Präsident des Deutschen Bundestages, dem er als CDU-Abgeordneter fast vier Jahrzehnte angehörte

Darf Klimapolitik eigentlich noch partei­politisch besetzt sein, oder müsste sie nicht über allem stehen?
Lammert: Also tendenziell würde ich das für eine gut gemeinte Form von Fundamentalismus halten, dass man ein Thema, welches einem selber besonders wichtig ist, gewisser­maßen vor die Klammer aller übrigen Fragen nimmt und sagt: Aber das darf nicht nach den gleichen Mechanismen behandelt werden wie alle übrigen Themen. Wieso eigentlich? Was ist mit dem Thema Friedens­sicherung? Würden Sie da sagen, na ja, das kann man schon dem Streit unter­schiedlicher Interessen zur Verfügung stellen, Klima­wandel aber nicht?
Boetius: Da bin ich ganz bei Ihnen, dass uns das nicht weiterhilft, nur eine Krise vor die Klammer zu ziehen. Beim Klima­schutz geht es darum, in ein anderes Energie­system überzutreten. Und dafür sind jede Menge Lösungen da. Deshalb ist es so schwer zu verstehen, warum dieser so offensichtliche Zukunfts­pfad nicht gegangen wird. Und da geht es letztlich um Werte des Lebens, wo sich mir die Frage stellt: Warum finde ich diese Werte nicht ausgeprägter in einer Partei wie der Ihren, Herr Lammert, die sich auf christlich-soziale Werte bezieht? Was einen Natur­begriff einschließt, ihn aber nicht ausfüllt.
Lammert: Ja, aber Politik hat mindestens so sehr mit Sach­verhalten wie mit Menschen zu tun und mit deren Prioritäten in der Behandlung von Sach­verhalten. Und um das jetzt noch mal auf die System­frage zu projizieren: Wir steigen nun nach einem zugegebener­maßen lang­wierigen, komplizierten, zähen, demokratischen Prozess nicht nur aus der Kohle­förderung, sondern auch aus der Kohle­verbrennung aus. Und das, was wir dann an Kohle­kraft­werken in Deutschland still­legen, steht statistisch in einem beinahe lächerlichen Verhältnis zu dem Zubau von Kohle­kraft­werken in einem autoritär geführten Land wie China, das ohne Rücksicht auf Mehr­heiten eigentlich eine klima­relevante Politik betreiben könnte, aber eben nicht betreibt.
Boetius: Dabei muss ich aber sagen, dass für mich Hoffnung kam, als wir mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina die Chinesische Akademie der Wissenschaften besucht haben. Wir haben dort über Menschen­rechte und über offene Wissenschaft gesprochen und erlebt, wie die leitenden Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftler sich mit einer Klarheit auf den Klima­wandel und das Problem der Kohle­kraft­werke und der Luft­verschmutzung in China bezogen haben, an der es uns oft mangelt. Und Europas Verhandlungs­position gegenüber China hat nicht nur mit deren CO2-Emissions­anteil von heute zu tun, sondern mit unserer gesamten Geschichte. Da trägt Europa für den heutigen Klima­wandel Verantwortung, wohin­gegen China vor allem für die Zukunft mit­verantwortlich ist.

Norbert Lammert und Antje Boetius bei der Aufnahme zum Podcast „Treffen sich ­ Welten“
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Norbert Lammert und Antje Boetius bei der Aufnahme zum Podcast „Treffen sich ­ Welten“ in Berlin

Herr Lammert, die Unionsparteien haben in der Bundes­republik am häufigsten die Kanzlerin oder den Kanzler gestellt. Wurde da in Sachen Klima­schutz zu zögerlich agiert?
Lammert: Na ja, also mir fallen da solche und solche Aspekte ein. Es sind auch unions­geführte Bundes­regierungen gewesen, die über­haupt als erste Umwelt­ministerien gegründet haben. Ich finde es unter vielerlei Gesichts­punkten ärgerlich, dass meine Partei das Profil, das sie zu einem früheren Zeit­punkt in der Umwelt­politik gewonnen hatte, dann aus mancherlei Gründen vernachlässigt und prompt verloren hat. Aber dass die einen dieses Thema wahr­genommen und die anderen notorisch vernachlässigt hätten, davon kann sicher keine Rede sein.
Boetius: Nein, auf keinen Fall. Vor allen Dingen, wenn man sich überlegt, wie man in 50 Jahren über die zurück­liegenden CDU-Regierungs­jahre denkt, dann wird man wahr­scheinlich aufzählen müssen, dass diese Regierung aus Atom­kraft, aus Kohle, aus Erdöl und Erdgas aus­gestiegen ist. Deswegen kann es sein, aus der lang­fristigen Perspektive, dass das sehr gut ausgehen wird für die CDU.
Lammert: Ich hatte vorhin schon fast den Eindruck, Sie wollten sich als Regierungs­sprecherin in China bewerben. Jetzt nehme ich das als Doppel­bewerbung für den Partei­sprecher der Union und in China.
(Boetius lacht)
Boetius: Das ist der Vorteil, wenn man unabhängig ist, dass man mit jeder Partei über ihre Pros und Cons offen sprechen kann.
(beide lachen)

Ihr Fazit: Das Klima retten wir …
Boetius: … nur, wenn wir Regeln setzen, die der Verschmutzung und der Über­nutzung der Atmosphäre Einhalt gebieten. Und zwar sofort. Denn wir haben weniger als 15 Jahre Zeit, die Infra­strukturen so auf die Bahn zu bringen, dass es nicht zu ganz verheerendem Leid auf der Erde kommt. Und das war jetzt nüchtern formuliert.
Lammert: Ich versuch‘s ähnlich nüchtern: Wir retten das Klima nur in einer intelligenten gemeinsamen Kraft­anstrengung von Politik und Wissenschaft.

Und was bleibt Ihnen vom heutigen Gespräch in Erinnerung?
Lammert: Na ja, die Aussicht auf das gemeinsame Tief­see­unter­nehmen und der damit verbundenen Einbildung, es sei zugleich ein Beitrag zur Klima­rettung.
Boetius: Dass Treffen fremder Welten spannend sind, auch wenn es doch um denselben Planeten geht und wir nur ­einen haben. Und tiefer Respekt vor meinem tauch­lustigen Gesprächs­­partner für seine Leistungen für unsere Demokratie.

Die Fragen stellte Richard Fuchs. Im Rahmen des Podcasts „Treffen sich Welten“ lädt die Klaus Tschira Stiftung regel­mä­ßig bekannte Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler zum Ge­spräch mit Prominenten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport.

Die Langversion des Interviews finden Sie überall, wo es ­Podcasts gibt, und auf: www.treffensichwelten.de

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