Windräder
©Zbynek Burival/unsplash; Heiko119/iStock

Geowissenschaften Alle wollen. Irgendwie.

Durch Nutzung erneuerbarer Energie­quellen ließe sich der größte Teil der heutigen Treib­haus­gas­emissionen vermeiden. Doch der Umstieg erzeugt auch Konflikte. Es geht um Kosten, Landschaften und Fragen der dezentralen Versorgung. Die Interessen­lage ist kompliziert und gefährlich, denn sie bedroht die Energie­wende

von Dr. Tim Tröndle

Alle wollen die Energiewende. Weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien. Das zumindest ist die Theorie. Im Alltag ist das Ganze nicht so einfach. Während die einen den massiven Ausbau von Windkraftanlagen groß­artig finden, haben andere Angst vor den Auswirkungen auf Landschaften. Die einen wünschen sich mehr Selbst­versorgung nach dem Modell Bürger­strom, andere halten das in großem Stil für unbezahlbar.

Zusammen mit Kolleg:innen der ETH Zürich und des IASS Potsdam erforschen wir diese gesellschaftlichen Konflikte der Energie­wende in Europa. Uns treibt die Klima­krise an, denn unsere heutige Energie­versorgung verursacht etwa drei Viertel der Treib­haus­gas­emissionen. Mithilfe klima­neutraler Technologien ließen sich diese Emissionen vermeiden. Allen voran: elektrische Energie aus Wind- und Solar­kraft­anlagen, die aus Sicht vieler Wissenschaftler:innen und Politiker:innen zukünftig eine zentrale Rolle über­nehmen sollen. Doch der rasche Ausbau kommt trotz der sich zuspitzenden Klima­krise immer wieder ins Stocken.

Dafür gibt es sicher eine Reihe von Gründen. Ein unseres Erachtens sehr wichtiger: Es gibt keinen Konsens darüber, wie und wo genau der Strom erzeugt werden soll. An dieser Frage entzünden sich gesellschaftliche Konflikte, denn sie hat einen entscheidenden Einfluss auf drei Aspekte, zu denen ­die Meinungen weit aus­einander­gehen: das Land­schafts­bild, die Strom­kosten und die Frage der Selbst­versorgung.

Tim Tröndle interessiert sich für gesellschaftliche Konflikte im Zuge der Energiewende. Mithilfe von Satellitendaten und einem mathematischen Modell sucht er nach Kompromissen
©KTS/Annette Mueck
Tim Tröndle interessiert sich für gesellschaftliche Konflikte im Zuge der Energiewende. Mithilfe von Satellitendaten und einem mathematischen Modell sucht er nach Kompromissen

Klar, der Wandel hin zu einer nach­haltigen Energie­versorgung hat nicht nur positive Effekte. So ist der Flächen­verbrauch eines Wind­kraft­werkes ungleich höher als der eines Kohle­kraft­werkes. Die daraus resultierenden Diskussionen über Land­schafts­veränderungen wurden ja schon genannt. Dann sind da die Kosten. Auch wenn Wind­turbinen und Solar­anlagen mittler­weile günstiger Strom produzieren können als fossile Kraftwerke, schwanken die Kosten doch stark mit dem geografischen Standort. Außerdem werden Speicher und leistungs­fähigere Netze benötigt. Da wir alle von Energie abhängig sind, stellt sich die Frage, welche Kosten gesellschaftlich tragbar wären. Positiv allerdings: Mit dem Anteil erneuerbarer Energien sinkt auch das Maß der Abhängigkeit von öl-, gas- und kohle­fördernden Ländern. Selbst einzelne Gemeinden könnten ihren Strom selbst vor Ort erzeugen. Wie wichtig dieser Aspekt ist, darüber ist man sich uneinig.

Solange es keinen Konsens zu diesen Aspekten gibt, kann es auch keinen Konsens darüber geben, wo die Anlagen gebaut werden sollen. Wenn das aber nicht klar ist, dann wird auch nicht gebaut – auch daher stockt der Ausbau und damit die so dringend nötige Energie­wende. Um alle unterschiedlichen Interessen zu vereinen, müsste man gleich­zeitig die Veränderungen des Land­schafts­bildes und die Kosten minimieren und den Grad der Selbst­versorgung maximieren. Aber geht das denn?

Um diese Frage zu beantworten, mussten wir die Auswirkungen auf Landschaft, Kosten und Selbst­versorgung detailliert kartieren. Wir brauchten ein räumliches und mathematisches Modell und holten uns hierfür Hilfe aus dem All. Erd­beobachtungs­satelliten sammeln verschiedenste Daten über die Erde, die für unsere Forschung essenziell sind: Höhen­profile, Flächen­nutzungen und meteorologische Größen wie Wind­geschwindig­keiten und Wolken­decken.

Mit diesen Daten wäre das Modell allerdings sehr komplex. Es würde nicht nur jede der über 100.000 Gemeinden in Europa abbilden, sondern auch die Wetter­verhältnisse an all diesen Orten über Jahr­zehnte. Ein derart hoch aufgelöstes Modell wurde zuvor noch nie eingesetzt. Um es berechnen zu können, benötigten wir leistungs­fähige Computer.

Fündig wurden wir in der Nähe des Luganersees, auf der Südseite der Alpen. Hier betreibt die ETH Zürich ihren Hoch­leistungs­rechner Euler. Euler berechnet unter anderem, wie sich die Klimakrise auf alpine Bergseen auswirkt, wie Beben an kontinentalen Platten das Erdinnere zum Schwingen bringen und wie sich SARS-CoV-2 ausbreitet. Über den Verlauf von Wochen und nach einigen Rück­schlägen erzeugten wir so einen großen Daten­satz, mit dem wir die Auswirkungen des Ausbaus erneuerbarer Energien detailliert kartieren konnten.

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Die Daten zeigen, dass sich die unterschiedlichen Interessen nicht vereinen lassen. Während es zwar insgesamt deutlich mehr verfügbare Flächen gibt als benötigt und die zukünftigen Strom­kosten etwa den heutigen gleichen, schwanken die Kosten, je nachdem, wo genau gebaut wird, stark. Wenn wir statt unbebauter Flächen eher Dach­flächen nutzen, verringert sich die Veränderung des Land­schafts­bildes drastisch, aber der Strom wird etwa 60 Prozent teurer. Am günstigsten ist Strom, wenn er an Orten erzeugt wird, an denen der Wind oder die Sonnen­ein­strahlung besonders stark ist. Wenn wir einen möglichst hohen Grad der Selbst­versorgung anstreben, wird Strom 70 Prozent teurer. Die Strom­versorgung kann also nicht gleich­zeitig möglichst geringe Landschafts­veränderungen und Kosten mit einem möglichst hohen Grad der Selbst­versorgung vereinen. Diese Ergebnisse erklären einen Teil des Konfliktes, da sich so kein Konsens darüber finden lässt, wo genau Erzeugungs­anlagen gebaut werden sollen.

Auch wenn unsere Ergebnisse eine Erklärung liefern konnten, wären sie ohne konkrete Lösungs­vorschläge unbefriedigend. Wir begaben uns daher mit der Hilfe Eulers erneut auf die Suche nach einem Szenario der Strom­erzeugung mit möglichst geringem Konflikt­potenzial. Mal bewegten wir Wind­turbinen von der irischen Atlantik­küste an die bulgarische Schwarz­meer­küste, mal in das Zentrum Europas. Mal nutzten wir mehr Sonnen­energie als Windkraft, mal mehr Windkraft auf See als an Land und mal mehr Dach­­flächen als freie Felder für die Strom­erzeugung.

Schließlich setzte sich ein Bild zusammen. Zwar gibt es keine Möglichkeit, die drei unterschiedlichen Interessen perfekt zu vereinen. Aber man kann sie so kombinieren, dass die negativen Auswirkungen für die jeweils anderen gering sind. Land­schafts­veränderungen und Kosten sind in diesen Fällen nicht minimal, aber gering, und der Grad der Selbst­versorgung ist nicht maximal, aber hoch. Eine solche Strom­versorgung kombiniert eine Erzeugung nah an den Verbraucher:innen – also mit hoher Selbst­versorgung – mit Strom aus Solaranlagen und einem starken Strom­netz, das Schwankungen der Erzeugung abfängt und so Kosten einspart. Da sie alle Interessen berücksichtigt, hat eine solche Strom­versorgung ein geringeres Konfliktpotenzial und könnte die stockende Energie­wende beschleunigen.

Unsere Ergebnisse sind keine Blaupause für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie können weder europäische, nationale oder regionale Energie­pläne noch gesellschaftliche Debatten ersetzen. Aber sie können die Debatten mit Fakten bereichern. Und sie zeigen, dass und wie sich die unterschiedlichen Interessen vieler Menschen in Europa einbinden lassen zu einer Energie­wende für alle.

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Landschaft mit Mühle

Warum tun wir uns eigentlich so schwer mit dem Anblick von Wind­rädern?

Kratzte man in Deutschland alle Flecken ursprünglicher, unberührter Natur zusammen, man käme nicht einmal auf die Fläche des Saarlandes. Wenn wir Urlaub im Schwarzwald machen, im Oderbruch oder in der Lüneburger Heide, dann genießen wir allenfalls Kultur­landschaften. Tatsächlich sind wir in Sachen „Natur” ziemlich anspruchslos und erfreuen uns ohne Weiteres von der Autobahn aus an Feldern, Wäldern und Weinbergen, die in Wahrheit oft tote Mono­kulturen sind.

Rückblende: Vor 370 Jahren bannte der nieder­ländische Maler Rembrandt van Rijn eine geschäftige Szene auf die Leinwand. An einem Fluss tummeln sich Erwachsene und Kinder. Der Himmel ist aufgerissen, das Licht fällt auf das Zentrum des Bildes. Dort steht eine Mühle, eine von Windkraft angetriebene Maschine. Rembrandt inszeniert sie als Symbol für die Abhängigkeit der Menschen von den Kräften der Natur.

Zurück in die Gegenwart: Wer den Begriff „Verspargelung” googelt, stößt auf unzählige Beiträge aus der ganzen Republik, in denen vom Widerstand gegen Wind­kraft­anlagen die Rede ist. Auch in Regionen, die selbst den anspruchs­losesten Tourist:innen wenig zu bieten haben. Man wehrt sich gegen die Verschandelung einer längst verschandelten Natur. Denn wir finden vor allem schön, was wir kennen.

Und genau das könnte uns hoffen lassen. Wachsen nämlich unsere Kinder und Enkel:innen mit dem Blick auf Windräder auf, in einer Welt, die auch wegen der „Verspargelung” nicht immer heißer und unwirtlicher wird, dann werden unsere Nachfahren sich daran nicht mehr stören. Durchaus möglich, dass die „Windmühlen” unserer Zeit lieb­gewonnener Teil der Umwelt werden. Ja, vielleicht werden sie wie zu Rembrandts Zeiten zu einem Symbol neuer Natur­verbunden­heit – für eine gelungene Zeiten­wende in eine nach­haltigere Zukunft.
— JS

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