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Geowissenschaften Samba und Mückenjagd mit KI

Dengue breitet sich weltweit rasant aus. Solange es keine wirksamen Impfstoffe gegen das Virus gibt, bleibt die gezielte Bekämpfung der übertragenden Mücken der wichtigste Schutz. Doch wo vermehren diese sich? Auf Spurensuche in Rio de Janeiro – mithilfe von Künstlicher Intelligenz

von Dr. Steffen Knoblauch

Wenn in Rio de Janeiro der Karneval beginnt, verwandelt sich die brasilianische Stadt in ein Meer aus Farben, Musik und Menschen. Doch während Samba­rhythmen die Luft erfüllen, verbirgt sich in der feucht­warmen Abend­dämmerung eine unsichtbare Bedrohung: Mücken, die Viren wie Dengue, Zika oder Chikungunya über­tragen und jährlich Tausende Menschen­leben bedrohen.

Dengueinfektionen äußern sich meist durch hohes Fieber, starke Muskel- und Gelenk­schmerzen sowie allgemeines Unwohlsein. In schweren Fällen kann das Denguefieber zu inneren Blutungen, Kreis­lauf­ver­sagen und mitunter zum Tod führen – insbesondere in Regionen mit unzureichender medizinischer Versorgung. Während der Regen­zeit in Brasilien, die zeitlich mit dem Karneval zusammen­fällt, steigt die Population der Mücken rasant an, was häufig zu einem sprung­haften Anstieg der Krankheits­fälle führt. Das Gesundheits­system von Rio de Janeiro gerät in dieser Phase regel­mäßig an seine Belastungs­grenzen. Zudem können lokale Ausbrüche während des Karnevals zum Ausgangs­punkt globaler Folge­epidemien werden.

In Rio de Janeiro geht die Hauptgefahr von der Ägyptischen Tiger­mücke (Aedes aegypti) aus. Diese legt ihre Eier bevorzugt in kleine, wasser­haltende Behältnisse wie Autoreifen, Müll­tonnen oder Blumen­töpfe – unzählige davon gibt es in der Stadt. Da es bislang keine breit wirksamen Impf­stoffe gegen Dengue gibt, ist die sogenannte Vektor­kontrolle – also die gezielte Reduktion der Mücken, die die Erreger über­tragen – das wichtigste Mittel zur Krankheits­prävention. Die praktische Umsetzung stellt jedoch eine große Herausforderung dar.

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Um Mücken wirksam zu bekämpfen, muss man genau wissen, wo sie sich vermehren. Das ist schwierig, da Aedes aegypti meist nur kurze Strecken zurücklegt – zwischen 200 und 1000 Metern – und ihre Verbreitung stark von der lokalen städtischen Struktur und dem Mikroklima abhängt. Rio de Janeiro ist eine Metropole mit einer viel­fältigen Landschaft: Industrie­anlagen, Favelas, Universitäten, der Regen­wald, Lagunen und das Meer liegen auf engem Raum beieinander. Daraus ergeben sich ausgeprägte klein­räumige Unterschiede in der Mücken­population: Während in einer Straße zahl­reiche Mücken vorkommen, sind es nur wenige Hundert Meter entfernt oft kaum welche.

Die Identifikation solcher Hotspots ist essenziell, aber herkömmliche Methoden wie punktuelle Moskito­fallen liefern nur begrenzte, stich­proben­artige Daten. Zudem sind flächen­deckende Erhebungen aus Kosten­gründen kaum realisierbar. Dieses Wissen ist jedoch unerlässlich, um Krankheits­ausbrüche früh­zeitig ein­zu­dämmen. Hinzu kommt ein ökologisches Dilemma: Insektizide dürfen aus Umwelt- und Gesundheits­gründen nur gezielt und lokal eingesetzt werden. Ein groß­flächiger Einsatz birgt nicht nur Risiken für Mensch und Natur, sondern kann auch zur Ausbildung resistenter Mücken­populationen führen.

Um dieser komplexen Herausforderung zu begegnen, entwickelten wir neue Ansätze: Wir kombinierten lokale Feld­messungen mit KI-gestützter Analyse urbaner Strukturen und meteorologischen Daten. Für unsere Feldmessungen nutzten wir sogenannte Ovitraps – wasser­gefüllte Plastik­behälter, die ideale Eiablage­orte für Stechmücken sind. Diese Fallen wurden an 2700 Standorten im gesamten Stadt­gebiet aufgestellt. Ihre Konstruktion ermöglichte es den Mücken, Eier abzulegen, während die daraus schlüpfenden Larven für die spätere Auswertung zurück­gehalten wurden. Die Larven­zählung erfolgte monatlich in Kooperation mit den Insekten­forscher:innen des brasilianischen Tropen­instituts Fundação Oswaldo Cruz (Fiocruz).

Unterdessen analysierten wir die Umgebung der Fallen anhand von Satelliten­bildern und 360-Grad-Straßen­aufnahmen, um typische städtische Strukturen zu identifizieren, die die Ausbreitung von Mücken begünstigen. Hierzu entwickelten wir ein KI-gestütztes Bild­analyse­verfahren, das potenzielle Brutstätten automatisch erkennt. Die Künstliche Intelligenz lernt, indem sie auf Basis von vielen Beispielen – etwa Bildern von Autoreifen, Mülltonnen oder Blumentöpfen – Muster erkennt, die typisch für Mücken­brut­stätten sind. Mit der Zeit wird die KI immer besser darin, solche Strukturen in neuen Bildern zuverlässig zu finden, ähnlich wie ein Mensch, der immer geübter in Aufgaben wird, mit denen er sich häufiger beschäftigt.

Zusätzlich integrierten wir Wetter- und Klimadaten von lokalen Messstationen, um dynamische Vorher­sage­modelle zur Entwicklung der Mücken­populationen zu erstellen. Diese Modelle berücksichtigen zentrale Einfluss­faktoren wie Temperatur, relative Luft­feuchtigkeit und Niederschlag. Auf Basis hydrologischer Daten konnten wir zudem präzise berechnen, wo und wann Regen­wasser abfließt – da auch Gullys oder Entwässerungs­rohre häufig als Brutstätten dienen. Aus diesen umfang­reichen Daten­sätzen – Feldmessungen, Informationen zu Brut­stätten sowie Wetter- und Klima­daten – entwickelten wir hoch­auflösende Mücken-Vorher­sage­modelle, die all diese Faktoren integrieren. Diese Modelle erlauben es, die Verteilung der Mücken auf einer räumlichen Skala abzubilden, die der Größe typischer Mücken­habitate entspricht. Die Stadt Rio de Janeiro nutzt diese Karten bereits, um gezieltere und effektivere Maßnahmen zur Bekämpfung von Dengue durch­zu­führen.

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Derzeit wird bereits an der nächsten Generation intelligenter Mücken­fallen gearbeitet. Diese sind mit Sensoren ausgestattet, mit denen Mücken nicht nur optisch erkannt, sondern auch gehört werden können – und das beinahe in Echtzeit. Obwohl diese Fallen deutlich teurer sind, könnten sie zukünftig die zeitliche Auflösung der Überwachung verbessern, Ausbrüche schneller erkennen und Früh­warn­systeme präziser gestalten. Die größte Heraus­forderung besteht derzeit darin, das charakteristische Sirren der Mücken auch im städtischen Hinter­grund­lärm zu identifizieren. Auf diese Weise kann sogar die Mücken­art bestimmt werden.

Das sind bereits große Erfolge im Kampf gegen die Mücken. Es gibt aber auch noch offene Fragen: Wie lassen sich die Modelle noch präziser an unterschiedliche städtische Umgebungen anpassen? Inwieweit kann die Kombination verschiedener Sensor­technologien die Erkennung und die Unterscheidung von Mücken­arten weiter verbessern? Und wie können die gewonnenen Daten am effektivsten in lokal angepasste Bekämpfungs­strategien über­setzt werden? Die Beantwortung dieser Fragen ist entscheidend, um noch effektiver gegen Dengue vorzugehen.

Neben Rio de Janeiro zeigt auch Singapur Interesse an den KI-basierten Lösungs­ansätzen zur Verbesserung der Dengue­kontrolle. Vor diesem Hintergrund planen wir, die Methodik auf weitere Städte aus­zu­weiten – insbesondere auf solche, in denen die Tiger­mücke ganz­jährig präsent ist und die als potenzielle Ausgangs­punkte zukünftiger globaler Epidemien gelten. Weltweit infizieren sich jährlich rund 400 Millionen Menschen mit Dengue – und die Zahl der Fälle nimmt kontinuierlich zu. Klimawandel, Urbanisierung und Globalisierung treiben diesen Trend schon heute voran und werden ihn weiter beschleunigen. Eine gezielte lokale Eindämmung und Kontrolle kann daher einen entscheidenden Beitrag zum globalen Gesundheits­schutz leisten.

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Noch ist sie kein Problem

Die Asiatische Tigermücke fühlt sich immer wohler in Deutschland. Das könnte Folgen haben

Wer einmal eine Asiatische Tigermücke gesehen hat, erkennt sie immer wieder. Eigentlich in Süd- und Süd­ost­asien zu Hause, kam das zwei bis zehn Millimeter große und typisch gestreifte Insekt Aedes albopictus in den 1990er-Jahren per Schiff und Flugzeug nach Europa.

Auch in Deutschland hat sich die Asiatische Tigermücke längst etabliert, über­lebt also die Winter und pflanzt sich fort. Karten des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigen, dass sie in den warmen Regionen Baden-Württembergs und im Rhein-Main-Gebiet von Hessen und Rheinland-Pfalz bereits verbreitet ist, vereinzelt auch in Bayern, Thüringen, Berlin und Nordrhein-Westfalen. Sicher ist: Die Mücke wird infolge ansteigender Temperaturen zukünftig noch in vielen weiteren Gebieten dauerhaft überleben können. Die Verbreitung wird durch den Personen- und Güter­verkehr begünstigt.

Dengue, Zika, Chikungunya: Noch sind dies typische Erkrankungen in den tropischen Regionen. Gleichwohl registrierte das RKI im ersten Halbjahr 2025 in Deutschland immerhin 545 Dengue-, 84 Chikungunya- und 6 Zikavirus-Infektionen. Allerdings waren bisher in allen Fällen Menschen betroffen, die sich im Ausland aufgehalten hatten und dort von infizierten Mücken gestochen wurden. Eine direkte Übertragung von Mücken auf den Menschen ist hierzulande nicht nachgewiesen. Noch nicht.

Denn Forschende sind sicher, dass es aufgrund der globalen Erwärmung nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Asiatische Tiger­mücke auch in Deutschland ganzjährig und flächen­­deckend zum Krankheits­über­träger wird. Dann steigt die Gefahr, dass infizierte Reise­rück­kehrer:innen von einer Tigermücke gestochen werden, die ihrer­seits den Erreger an gesunde Menschen weitergeben. Schon jetzt gibt es in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal Fälle von Tropen­krank­heiten, die nach­weislich im Land selbst von der Tigermücke über­tragen wurden. — J. Schüring

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