Geowissenschaften Samba und Mückenjagd mit KI
Dengue breitet sich weltweit rasant aus. Solange es keine wirksamen Impfstoffe gegen das Virus gibt, bleibt die gezielte Bekämpfung der übertragenden Mücken der wichtigste Schutz. Doch wo vermehren diese sich? Auf Spurensuche in Rio de Janeiro – mithilfe von Künstlicher Intelligenz
Wenn in Rio de Janeiro der Karneval beginnt, verwandelt sich die brasilianische Stadt in ein Meer aus Farben, Musik und Menschen. Doch während Sambarhythmen die Luft erfüllen, verbirgt sich in der feuchtwarmen Abenddämmerung eine unsichtbare Bedrohung: Mücken, die Viren wie Dengue, Zika oder Chikungunya übertragen und jährlich Tausende Menschenleben bedrohen.
Dengueinfektionen äußern sich meist durch hohes Fieber, starke Muskel- und Gelenkschmerzen sowie allgemeines Unwohlsein. In schweren Fällen kann das Denguefieber zu inneren Blutungen, Kreislaufversagen und mitunter zum Tod führen – insbesondere in Regionen mit unzureichender medizinischer Versorgung. Während der Regenzeit in Brasilien, die zeitlich mit dem Karneval zusammenfällt, steigt die Population der Mücken rasant an, was häufig zu einem sprunghaften Anstieg der Krankheitsfälle führt. Das Gesundheitssystem von Rio de Janeiro gerät in dieser Phase regelmäßig an seine Belastungsgrenzen. Zudem können lokale Ausbrüche während des Karnevals zum Ausgangspunkt globaler Folgeepidemien werden.
In Rio de Janeiro geht die Hauptgefahr von der Ägyptischen Tigermücke (Aedes aegypti) aus. Diese legt ihre Eier bevorzugt in kleine, wasserhaltende Behältnisse wie Autoreifen, Mülltonnen oder Blumentöpfe – unzählige davon gibt es in der Stadt. Da es bislang keine breit wirksamen Impfstoffe gegen Dengue gibt, ist die sogenannte Vektorkontrolle – also die gezielte Reduktion der Mücken, die die Erreger übertragen – das wichtigste Mittel zur Krankheitsprävention. Die praktische Umsetzung stellt jedoch eine große Herausforderung dar.
Um Mücken wirksam zu bekämpfen, muss man genau wissen, wo sie sich vermehren. Das ist schwierig, da Aedes aegypti meist nur kurze Strecken zurücklegt – zwischen 200 und 1000 Metern – und ihre Verbreitung stark von der lokalen städtischen Struktur und dem Mikroklima abhängt. Rio de Janeiro ist eine Metropole mit einer vielfältigen Landschaft: Industrieanlagen, Favelas, Universitäten, der Regenwald, Lagunen und das Meer liegen auf engem Raum beieinander. Daraus ergeben sich ausgeprägte kleinräumige Unterschiede in der Mückenpopulation: Während in einer Straße zahlreiche Mücken vorkommen, sind es nur wenige Hundert Meter entfernt oft kaum welche.
Die Identifikation solcher Hotspots ist essenziell, aber herkömmliche Methoden wie punktuelle Moskitofallen liefern nur begrenzte, stichprobenartige Daten. Zudem sind flächendeckende Erhebungen aus Kostengründen kaum realisierbar. Dieses Wissen ist jedoch unerlässlich, um Krankheitsausbrüche frühzeitig einzudämmen. Hinzu kommt ein ökologisches Dilemma: Insektizide dürfen aus Umwelt- und Gesundheitsgründen nur gezielt und lokal eingesetzt werden. Ein großflächiger Einsatz birgt nicht nur Risiken für Mensch und Natur, sondern kann auch zur Ausbildung resistenter Mückenpopulationen führen.
Um dieser komplexen Herausforderung zu begegnen, entwickelten wir neue Ansätze: Wir kombinierten lokale Feldmessungen mit KI-gestützter Analyse urbaner Strukturen und meteorologischen Daten. Für unsere Feldmessungen nutzten wir sogenannte Ovitraps – wassergefüllte Plastikbehälter, die ideale Eiablageorte für Stechmücken sind. Diese Fallen wurden an 2700 Standorten im gesamten Stadtgebiet aufgestellt. Ihre Konstruktion ermöglichte es den Mücken, Eier abzulegen, während die daraus schlüpfenden Larven für die spätere Auswertung zurückgehalten wurden. Die Larvenzählung erfolgte monatlich in Kooperation mit den Insektenforscher:innen des brasilianischen Tropeninstituts Fundação Oswaldo Cruz (Fiocruz).
Unterdessen analysierten wir die Umgebung der Fallen anhand von Satellitenbildern und 360-Grad-Straßenaufnahmen, um typische städtische Strukturen zu identifizieren, die die Ausbreitung von Mücken begünstigen. Hierzu entwickelten wir ein KI-gestütztes Bildanalyseverfahren, das potenzielle Brutstätten automatisch erkennt. Die Künstliche Intelligenz lernt, indem sie auf Basis von vielen Beispielen – etwa Bildern von Autoreifen, Mülltonnen oder Blumentöpfen – Muster erkennt, die typisch für Mückenbrutstätten sind. Mit der Zeit wird die KI immer besser darin, solche Strukturen in neuen Bildern zuverlässig zu finden, ähnlich wie ein Mensch, der immer geübter in Aufgaben wird, mit denen er sich häufiger beschäftigt.
Zusätzlich integrierten wir Wetter- und Klimadaten von lokalen Messstationen, um dynamische Vorhersagemodelle zur Entwicklung der Mückenpopulationen zu erstellen. Diese Modelle berücksichtigen zentrale Einflussfaktoren wie Temperatur, relative Luftfeuchtigkeit und Niederschlag. Auf Basis hydrologischer Daten konnten wir zudem präzise berechnen, wo und wann Regenwasser abfließt – da auch Gullys oder Entwässerungsrohre häufig als Brutstätten dienen. Aus diesen umfangreichen Datensätzen – Feldmessungen, Informationen zu Brutstätten sowie Wetter- und Klimadaten – entwickelten wir hochauflösende Mücken-Vorhersagemodelle, die all diese Faktoren integrieren. Diese Modelle erlauben es, die Verteilung der Mücken auf einer räumlichen Skala abzubilden, die der Größe typischer Mückenhabitate entspricht. Die Stadt Rio de Janeiro nutzt diese Karten bereits, um gezieltere und effektivere Maßnahmen zur Bekämpfung von Dengue durchzuführen.
Derzeit wird bereits an der nächsten Generation intelligenter Mückenfallen gearbeitet. Diese sind mit Sensoren ausgestattet, mit denen Mücken nicht nur optisch erkannt, sondern auch gehört werden können – und das beinahe in Echtzeit. Obwohl diese Fallen deutlich teurer sind, könnten sie zukünftig die zeitliche Auflösung der Überwachung verbessern, Ausbrüche schneller erkennen und Frühwarnsysteme präziser gestalten. Die größte Herausforderung besteht derzeit darin, das charakteristische Sirren der Mücken auch im städtischen Hintergrundlärm zu identifizieren. Auf diese Weise kann sogar die Mückenart bestimmt werden.
Das sind bereits große Erfolge im Kampf gegen die Mücken. Es gibt aber auch noch offene Fragen: Wie lassen sich die Modelle noch präziser an unterschiedliche städtische Umgebungen anpassen? Inwieweit kann die Kombination verschiedener Sensortechnologien die Erkennung und die Unterscheidung von Mückenarten weiter verbessern? Und wie können die gewonnenen Daten am effektivsten in lokal angepasste Bekämpfungsstrategien übersetzt werden? Die Beantwortung dieser Fragen ist entscheidend, um noch effektiver gegen Dengue vorzugehen.
Neben Rio de Janeiro zeigt auch Singapur Interesse an den KI-basierten Lösungsansätzen zur Verbesserung der Denguekontrolle. Vor diesem Hintergrund planen wir, die Methodik auf weitere Städte auszuweiten – insbesondere auf solche, in denen die Tigermücke ganzjährig präsent ist und die als potenzielle Ausgangspunkte zukünftiger globaler Epidemien gelten. Weltweit infizieren sich jährlich rund 400 Millionen Menschen mit Dengue – und die Zahl der Fälle nimmt kontinuierlich zu. Klimawandel, Urbanisierung und Globalisierung treiben diesen Trend schon heute voran und werden ihn weiter beschleunigen. Eine gezielte lokale Eindämmung und Kontrolle kann daher einen entscheidenden Beitrag zum globalen Gesundheitsschutz leisten.
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Noch ist sie kein Problem
Die Asiatische Tigermücke fühlt sich immer wohler in Deutschland. Das könnte Folgen haben
Wer einmal eine Asiatische Tigermücke gesehen hat, erkennt sie immer wieder. Eigentlich in Süd- und Südostasien zu Hause, kam das zwei bis zehn Millimeter große und typisch gestreifte Insekt Aedes albopictus in den 1990er-Jahren per Schiff und Flugzeug nach Europa.
Auch in Deutschland hat sich die Asiatische Tigermücke längst etabliert, überlebt also die Winter und pflanzt sich fort. Karten des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigen, dass sie in den warmen Regionen Baden-Württembergs und im Rhein-Main-Gebiet von Hessen und Rheinland-Pfalz bereits verbreitet ist, vereinzelt auch in Bayern, Thüringen, Berlin und Nordrhein-Westfalen. Sicher ist: Die Mücke wird infolge ansteigender Temperaturen zukünftig noch in vielen weiteren Gebieten dauerhaft überleben können. Die Verbreitung wird durch den Personen- und Güterverkehr begünstigt.
Dengue, Zika, Chikungunya: Noch sind dies typische Erkrankungen in den tropischen Regionen. Gleichwohl registrierte das RKI im ersten Halbjahr 2025 in Deutschland immerhin 545 Dengue-, 84 Chikungunya- und 6 Zikavirus-Infektionen. Allerdings waren bisher in allen Fällen Menschen betroffen, die sich im Ausland aufgehalten hatten und dort von infizierten Mücken gestochen wurden. Eine direkte Übertragung von Mücken auf den Menschen ist hierzulande nicht nachgewiesen. Noch nicht.
Denn Forschende sind sicher, dass es aufgrund der globalen Erwärmung nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Asiatische Tigermücke auch in Deutschland ganzjährig und flächendeckend zum Krankheitsüberträger wird. Dann steigt die Gefahr, dass infizierte Reiserückkehrer:innen von einer Tigermücke gestochen werden, die ihrerseits den Erreger an gesunde Menschen weitergeben. Schon jetzt gibt es in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal Fälle von Tropenkrankheiten, die nachweislich im Land selbst von der Tigermücke übertragen wurden. — J. Schüring